Thesis | Antithesis |
Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zur Erklärung derselben anzunehmen notwendig. | Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht lediglich nach Gesetzen der Natur. |
Beweis | Beweis |
Man nehme an, es gebe keine andere Kausalität, als nach Gesetzen der Natur; so setzt alles,
was geschieht, einen vorigen Zustand voraus, auf den es unausbleiblich nach einer Regel
folgt. Nun muß aber der vorige Zustand selbst etwas sein, was geschehen ist (in der Zeit
geworden, da es vorher nicht war), weil, wenn es jederzeit gewesen wäre, seine Folge auch
nicht allererst entstanden, sondern immer gewesen sein würde. Also ist die Kausalität der
Ursache, durch welche etwas geschieht, selbst etwas Geschehenes, welches nach dem Gesetz der
Natur wiederum einen vorigen Zustand und dessen Kausalität, dieser aber eben so einen noch
älteren voraussetzt usw. Wenn also alles nach bloßen Gesetzen der Natur geschieht, so
gibt es jederzeit nur einen subalternen, niemals aber einen ersten Anfang, und also überhaupt
keine Vollständigkeit der Reihe auf der Seite der voneinander abstammenden Ursachen. Nun
besteht aber eben darin das Gesetz der Natur: daß ohne hinreichend a priori bestimmte Ursache
nichts geschehe. Also widerspricht der Satz, als wenn alle Kausalität nur nach Naturgesetzen
möglich sei, sich selbst in seiner unbeschränkten Allgemeinheit, und diese kann also
nicht als die einzige angenommen werden.
Diesem nach muß eine Kausalität angenommen werden, durch welche etwas geschieht, ohne daß die Ursache davon noch weiter, durch eine andere vorhergehende Ursache, nach notwendigen Gesetzen bestimmt sei, d. i. eine absolute Spontaneität der Ursachen, eine Reihe von Erscheinungen, die nach Naturgesetzen läuft, von selbst anzufangen, mithin transzendentale Freiheit, ohne welche selbst im Laufe der Natur die Reihenfolge der Erscheinungen auf der Seite der Ursachen niemals vollständig ist. | Setzet: es gehe eine Freiheit im transzendentalen Verstande, als eine besondere Art von
Kausalität, nach welcher die Begebenheiten der Welt erfolgen könnten, nämlich ein
Vermögen, einen Zustand, mithin auch eine Reihe von Folgen desselben, schlechthin anzufangen;
so wird nicht allein eine Reihe durch diese Spontaneität, sondern die Bestimmung dieser
Spontaneität selbst zur Hervorbringung der Reihe, d. i. die Kausalität, wird
schlechthin anfangen, so daß nichts vorhergeht, wodurch diese geschehende Handlung nach
beständigen Gesetzen bestimmt sei. Es setzt aber ein jeder Anfang zu handeln einen Zustand der
noch nicht handelnden Ursache voraus, und ein dynamisch erster Anfang der Handlung einen Zustand,
der mit dem vorhergehenden eben derselben Ursache gar keinen Zusammenhang der Kausalität hat,
d. i. auf keine Weise daraus erfolgt. Also ist die transzendentale Freiheit dem Kausalgesetze
entgegen, und eine solche Verbindung der sukzessiven Zustände wirkender Ursachen, nach welcher
keine Einheit der Erfahrung möglich ist, die also auch in keiner Erfahrung angetroffen wird,
mithin ein leeres Gedankending.
Wir haben also nichts als Natur, in welcher wir den Zusammenhang und Ordnung der Weltbegebenheiten suchen müssen. Die Freiheit (Unabhängigkeit) von den Gesetzen der Natur, ist zwar eine Befreiung vom Zwange, aber auch vom Leitfaden aller Regeln. Denn man kann nicht sagen, daß, anstatt der Gesetze der Natur, Gesetze der Freiheit in die Kausalität des Weltlaufs eintreten, weil, wenn diese nach Gesetzen bestimmt wäre, sie nicht Freiheit, sondern selbst nichts anderes als Natur wäre. Natur also und transzendentale Freiheit unterscheiden sich wie Gesetzmäßigkeit und Gesetzlosigkeit, davon jene zwar den Verstand mit der Schwierigkeit belästigt, die Abstammung der Begebenheiten in der Reihe der Ursachen immer höher hinauf zu suchen, weil die Kausalität an ihnen jederzeit bedingt ist, aber zur Schadloshaltung durchgängige und gesetzmäßige Einheit der Erfahrung verspricht, dahingegen das Blendwerk von Freiheit zwar dem forschenden Verstande in der Kette der Ursachen Ruhe verheißt, indem sie ihn zu einer unbedingten Kausalität führt, die von selbst zu handeln anhebt, die aber, da sie selbst blind ist, den Leitfaden der Regeln abreißt, an welchem allein eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung möglich ist. |
Anmerkung zur dritten Antinomie I. zur Thesis | II. Anmerkung zur Antithesis |
Die transzendentale Idee der Freiheit macht zwar bei weitem nicht den ganzen Inhalt des
psychologischen Begriffs dieses Namens aus, welcher großenteils empirisch ist, sondern nur
den der absoluten Spontaneität der Handlung, als den eigentlichen Grund der Imputabilität
derselben; ist aber dennoch der eigentliche Stein des Anstoßes für die Philosophie,
welche unüberwindliche Schwierigkeiten findet, dergleichen Art von unbedingter Kausalität
einzuräumen. Dasjenige also in der Frage über die Freiheit des Willens, was die
spekulative Vernunft von jeher in so große Verlegenheit gesetzt hat, ist eigentlich nur
transzendental, und geht lediglich darauf, ob ein Vermögen angenommen werden
müsse, eine Reihe von sukzessiven Dingen oder Zuständen von selbst anzufangen. Wie
ein solches möglich sei, ist nicht ebenso notwendig beantworten zu können, da wir uns
ebensowohl bei der Kausalität nach Naturgesetzen damit begnügen müssen, a priori zu
erkennen, daß eine solche vorausgesetzt werden müsse, ob wir gleich die
Möglichkeit, wie durch ein gewisses Dasein das Dasein eines anderen gesetzt werde, auf keine
Weise begreifen, und uns desfalls lediglich an die Erfahrung halten müssen. Nun haben wir
diese Notwendigkeit eines ersten Anfangs einer Reihe von Erscheinungen aus Freiheit, zwar nur
eigentlich insofern dargetan, als zur Begreiflichkeit eines Ursprungs der Welt erforderlich ist,
indessen daß man alle nachfolgenden Zustände für eine Abfolge nach bloßen
Naturgesetzen nehmen kann. Weil aber dadurch doch einmal das Vermögen, eine Reihe in der Zeit
ganz von selbst anzufangen, bewiesen (obzwar nicht eingesehen) ist, so ist es uns nunmehr auch
erlaubt, mitten im Laufe der Welt verschiedene Reihen, der Kausalität nach, von selbst
anfangen zu lassen, und den Substanzen derselben ein Vermögen beizulegen, aus Freiheit zu
handeln. Man lasse sich aber hierbei nicht durch einen Mißverstand aufhalten: daß, da
nämlich eine sukzessive Reihe in der Welt nur einen komparativ ersten Anfang haben kann, indem
doch immer ein Zustand der Dinge in der Welt vorhergeht, etwa kein absolut erster Anfang der Reihen
während dem Weltlaufe möglich sei. Denn wir reden hier nicht vom absolut ersten Anfange
der Zeit nach, sondern der Kausalität nach. Wenn ich jetzt (zum Beispiel) völlig frei,
und ohne den notwendig bestimmenden Einfluß der Naturursachen, von meinem Stuhle aufstehe, so
fängt in dieser Begebenheit, samt deren natürlichen Folgen ins Unendliche, eine neue
Reihe schlechthin an, obgleich der Zeit nach diese Begebenheit nur die Fortsetzung einer
vorhergehenden Reihe ist. Denn diese Entschließung und Tat liegt gar nicht in der Abfolge
bloßer Naturwirkungen, und ist nicht eine bloße Fortsetzung derselben, sondern die
bestimmenden Naturursachen hören oberhalb derselben, in Ansehung dieser Ereignis, ganz auf,
die zwar auf jene folgt, aber daraus nicht erfolgt, und daher zwar nicht der Zeit nach, aber doch
in Ansehung der Kausalität, ein schlechthin erster Anfang einer Reihe von Erscheinungen
genannt werden muß.
Die Bestätigung von der Bedürfnis der Vernunft, in der Reihe der Naturursachen sich auf einen ersten Anfang aus Freiheit zu berufen, leuchtet daran sehr klar in die Augen: daß (die epikurische Schule ausgenommen) alle Philosophen des Altertums sich gedrungen sahen, zur Erklärung der Weltbewegungen einen ersten Beweger anzunehmen, d. i. eine freihandelnde Ursache, welche diese Reihe von Zuständen zuerst und von selbst anfing. Denn aus bloßer Natur unterfangen sie sich nicht, einen ersten Anfang begreiflich zu machen. | Der Verteidiger der Allvermögenheit der Natur (transzendentale Physiokratie), im
Widerspiel mit der Lehre von der Freiheit, würde seinen Satz, gegen die vernünftelnden
Schlüsse der letzteren, auf folgende Art behaupten. Wenn ihr kein mathematisch Erstes der
Zeit nach in der Welt annehmt, so habt ihr auch nicht nötig, ein dynamisch Erstes der
Kausalität nach zu suchen. Wer hat euch geheißen, einen schlechthin ersten Zustand
der Welt, und mithin einen absoluten Anfang der nach und nach ablaufenden Reihe der Erscheinungen,
zu erdenken, und, damit ihr eurer Einbildung einen Ruhepunkt verschaffen möget, der
unumschränkten Natur Grenzen zu setzen? Da die Substanzen in der Welt jederzeit gewesen sind,
wenigstens die Einheit der Erfahrung eine solche Voraussetzung notwendig macht, so hat es keine
Schwierigkeit, auch anzunehmen, daß der Wechsel ihrer Zustände, d. i. eine Reihe
ihrer Veränderungen, jederzeit gewesen sei, und mithin kein erster Anfang, weder mathematisch,
noch dynamisch, gesucht werden dürfe. Die Möglichkeit einer solchen unendlichen
Abstammung, ohne ein erstes Glied, in Ansehung dessen alles übrige bloß nachfolgend ist,
läßt sich, seiner Möglichkeit nach, nicht begreiflich machen. Aber wenn ihr diese
Naturrätsel darum wegwerfen wollt, so werdet ihr euch genötigt sehen, viel synthetische
Grundbeschaffenheiten zu verwerfen, (Grundkräfte) die ihr ebensowenig begreifen könnt,
und selbst die Möglichkeit einer Veränderung überhaupt muß euch
anstößig werden. Denn, wenn ihr nicht durch Erfahrung fändet, daß sie
wirklich ist, so würdet ihr niemals a priori ersinnen können, wie eine solche
unaufhörliche Folge von Sein und Nichtsein möglich sei.
Wenn auch indessen allenfalls ein transzendentales Vermögen der Freiheit nachgegeben wird, um die Weltveränderungen anzufangen, so würde dieses Vermögen doch wenigstens nur außerhalb der Welt sein müssen, (wiewohl es immer eine kühne Anmaßung bleibt, außerhalb dem Inbegriffe aller möglichen Anschauungen, noch einen Gegenstand anzunehmen, der in keiner möglichen Wahrnehmung gegeben werden kann). Allein, in der Welt selbst, den Substanzen ein solches Vermögen beizumessen, kann nimmermehr erlaubt sein, weil alsdann der Zusammenhang nach allgemeinen Gesetzen sich einander notwendig bestimmender Erscheinungen, den man Natur nennt, und mit ihm das Merkmal empirischer Wahrheit, welches Erfahrung vom Traum unterscheidet, größtenteils verschwinden würde. Denn es läßt sich neben einem solchen gesetzlosen Vermögen der Freiheit, kaum mehr Natur denken; weil die Gesetze der letzteren durch die Einflüsse der ersteren unaufhörlich abgeändert, und das Spiel der Erscheinungen, welches nach der bloßen Natur regelmäßig und gleichförmig sein würde, dadurch verwirrt und unzusammenhängend gemacht wird. |