1) Kunst wird von der Natur, wie Tun (facere) vom Handeln oder Wirken überhaupt (agere), und das Produkt, oder die Folge der erstern, als Werk (opus) von der letztern als Wirkung (effectus) unterschieden.
Von Rechts wegen sollte man nur die Hervorbringung durch Freiheit, d. i. durch eine Willkür, die ihren Handlungen Vernunft zum Grunde legt, Kunst nennen. Denn, ob man gleich das Produkt der Bienen (die regelmäßig gebaueten Wachsscheiben) ein Kunstwerk zu nennen beliebt, so geschieht dieses doch nur wegen der Analogie mit der letzteren; sobald man sich nämlich besinnt, daß sie ihre Arbeit auf keine eigene Vernunftüberlegung gründen, so sagt man alsbald, es ist ein Produkt ihrer Natur (des Instinkts), und als Kunst wird es nur ihrem Schöpfer zugeschrieben.
Wenn man bei Durchsuchung eines Moorbruches, wie es bisweilen geschehen ist, ein Stück behauenes Holz antrifft, so sagt man nicht, es ist ein Produkt der Natur, sondern der Kunst; die hervorbringende Ursache desselben hat sich einen Zweck gedacht, dem dieses seine Form zu danken hat. Sonst sieht man wohl auch an allem eine Kunst, was so beschaffen ist, daß eine Vorstellung desselben in ihrer Ursache vor ihrer Wirklichkeit vorhergegangen sein muß (wie selbst bei Bienen), ohne daß doch die Wirkung von ihr eben gedacht sein dürfe; wenn man aber etwas schlechthin ein Kunstwerk nennt, um es von einer Naturwirkung zu unterscheiden, so versteht man allemal darunter ein Werk der Menschen.
2) Kunst als Geschicklichkeit des Menschen wird auch von der Wissenschaft unterschieden (Können vom Wissen), als praktisches vom theoretischen Vermögen, als Technik von der Theorie (wie die Feldmeßkunst von der Geometrie). Und da wird auch das, was man kann, sobald man nur weiß, was getan werden soll, und also nur die begehrte Wirkung genugsam kennt, nicht eben Kunst genannt. Nur das, was man, wenn man es auch auf das vollständigste kennt, dennoch darum zu machen noch nicht sofort die Geschicklichkeit hat, gehört in so weit zur Kunst. Camper beschreibt sehr genau, wie der beste Schuh beschaffen sein müßte, aber er konnte gewiß keinen machen*.
3) Wird auch Kunst vom Handwerke unterschieden; die erste heißt freie, die andere kann auch Lohnkunst heißen. Man sieht die erste so an, als ob sie nur als Spiel, d. i. Beschäftigung, die für sich selbst angenehm ist, zweckmäßig ausfallen (gelingen) könne; die zweite so, daß sie als Arbeit, d. i. Beschäftigung, die für sich selbst unangenehm (beschwerlich), und nur durch ihre Wirkung (z. B. den Lohn) anlockend ist, mithin zwangsmäßig auferlegt werden kann. Ob in der Rangliste der Zünfte Uhrmacher für Künstler, dagegen Schmiede für Handwerker gelten sollen: das bedarf eines andern Gesichtspunkts der Beurteilung, als derjenige ist, den wir hier nehmen; nämlich die Proportion der Talente, die dem einen oder anderen dieser Geschäfte zum Grunde liegen müssen. Ob auch unter den sogenannten sieben freien Künsten nicht einige, die den Wissenschaften beizuzählen, manche auch, die mit Handwerken zu vergleichen sind, aufgeführt worden sein möchten: davon will ich hier nicht reden. Daß aber in allen freien Künsten dennoch etwas Zwangsmäßiges, oder, wie man es nennt, ein Mechanismus erforderlich sei, ohne welchen der Geist, der in der Kunst frei sein muß und allein das Werk belebt, gar keinen Körper haben und gänzlich verdunsten würde: ist nicht unratsam zu erinnern (z. B. in der Dichtkunst, die Sprachrichtigkeit und der Sprachreichtum, imgleichen die Prosodie und das Silbenmaß), da manche neuere Erzieher eine freie Kunst im besten zu befördern glauben, wenn sie allen Zwang von ihr wegnehmen, und sie aus Arbeit in bloßes Spiel verwandeln.
* In meinen Gegenden sagt der gemeine Mann, wenn man ihm etwa eine solche Aufgabe vorlegt, wie Kolumbus mit seinem Ei: das ist keine Kunst, es ist nur eine Wissenschaft. D. i. wenn man es weiß, so kann man es; und ebendieses sagt er von allen vorgeblichen Künsten des Taschenspielers. Die des Seiltänzers dagegen wird er gar nicht in Abrede sein, Kunst zu nennen.