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Olga Serebryanaya

Wer ist Nietzsches Plato?



Die Vortragsüberschrift folgt dem Titel eines heideggerschen Aufsatzes. Noch mehr - der Vortrag will es wagen, auch Heideggers Behandlungsweise hinsichtlich Nietzsche zu wiederholen.

Was macht Heidegger aus Nietzsche? Ursprünglich nimmt er ihn als eine allbekannte und doch leere Figur - als jenen, der einst was Allbekanntes gesprochen hat. Daraus erklärt sich gerade, daß Heidegger die "Haupttitel im Denken Nietzsches" in Arbeit nimmt, nicht etwa die eigentlichen Aufgaben Nietzsches, die dieser in jeder einzelnen seiner Schriften deutlich und jedesmal auf verschiedene Weise stellt und auflöst. Mit anderen Worten, nutzt Heidegger Nietzsches Denken als Material für Lösung von Aufgaben seines eigenen Denkens - wo die Geschichte des Seins gedacht wird. Gerade dies und nichts anderes besagt Heideggers Erklärung: "Wir versuchen, Nietzsche als Denker ernst zu nehmen".

Die Bestimmtheit der "Haupttitel im Denken Nietzsches" wird gerade durch die Denkordnung von Heidegger selbst bedingt: Heideggers Demonstration der Einheit vom Willen zur Macht, der Lehre von der ewigen Wiederkehr und der Umwertung aller Werte im Denken Nietzsches demonstriert eher das Wesen der heideggerschen ontologischen Diferenz wie auch ihrer Verbundenheit mit dem existenziellen Verständnis; die heideggersche Interpretation des Nihilismus wird aber von denen am besten gefaßt sein, die anstatt des Wortes "Nihilismus" jedesmal einen längeren Ausdruck "Geschichte der abendländischen Metaphysik" lesen werden. Wie also Heidegger in "Nietzsche" und "durch Nietzsche" eigentlich die Geschichte der Metaphysik denkt, so stelle auch ich einen Rückversuch an, den heideggerschen Begriff der Metaphysik "durch Nietzsche" zu problematisieren.

Die Geschichte der Metaphysik erscheint im Denken Heideggers als eine Reihe von verschiedenen metaphysischen Grundstellungen. Die metaphysische Grundstellung wird dabei als jene Gestalt der Seinsvergessenheit gedacht, in welche sich das jeweilige Zeitalter der Metaphysik schließt. "Die metaphysische Grundstellung sagt, wie der die Leitfrage Fragende in das nicht eigens entfaltete Gefüge der Leitfrage eingefügt bleibt und dadurch im Seienden im Ganzen und zum Seienden im Ganzen zum Stehen kommt." Solch eine Bestimmung teilt uns mit, daß die Verschiedenartigkeit der metaphysischen Grundstellungen durch die Verschiedenartigkeit der Weisen des "Nicht-Entfaltens der Leitfrage" oder, was dasselbe ist, durch die Verschiedenartigkeit der Weisen, der Grundfrage auszuweichen, angegeben wird. Und wenn die Figuren von Kant, Descartes und Aristoteles beim Destruktionsentwurf hinsichtlich der Geschichte der Ontologie Heidegger eben inhaltlich interessiert haben, das heißt, in Bezug auf die Weise, wie jeder von ihnen den Zeitbegriff behandelt und wie er damit die entsprechende Gestalt der Ontologie bestimmt, - so ist die Ursache der Konzentrierung des seinsgeschichtlichen Gedankens auf Nietzsches metaphysische Grundstellung ganz formell: es wird entdeckt, daß sich eben Nietzsches Stellung als letztmögliche Grundstellung in der Geschichte der Metaphysik erweist. Die Grundlage dieser Kennzeichnung liegt wiederum in einem beinahe geometrischen Gebiete: insofern nur schließt Nietzsche die Geschichte der Metaphysik und rundet diese ab, als er zu ihrem umgekehrten Anfang zurückkehrt. Nietzsche ist insofern ein letzter Metaphysiker, als er ein Platos Umkehrer ist.

Die obenumschriebene Situation erweckt zwei Fragen bei mir. Die erste, allgemeinere, fragt, wie die von Heidegger rein privativ bestimmte Metaphysik ihre eigene Anfang und Ende haben kann? Wird sie nicht einerseits durch das poetische Denken der Vorsokratiker (deren erster natürlich Hölderlin ist), andererseits aber durch die von Heidegger von neuem gestellte Frage nach dem Sein begrenzt, d.i. beiderseits durch etwas, was nicht zu ihrem Wesen gehört? Die zweite Frage, auf welche ich ausführlicher eingehen will, berührt Nietzsche geradewegs. Diese fragt: warum ähnelt der letzte Metaphysiker Nietzsche, welcher von Heidegger beschrieben worden ist, so wenig dem Nietzsche, mit welchem wir zu tun haben, indem wir seine eigene Werke lesen? Warum befaßt sich Heideggers Nietzsche - wenn dieser auch in denjenigen fünf Haupttiteln denkt, die der Sache nach zum Heideggers Denken gehören, - weder mit der Kritik der Moral, noch mit dem Epatieren "der unverbesserlichen Flachköpfen und Hanswürsten der “ modernen Ideen” ", noch die Frage "Warum ich so klug bin", welche doch eine Lieblingsfrage des Autors von "Ecce Homo" gewesen zu sein scheint? Warum ist jener Platonismus, den Nietzsche nach Heideggers Meinung umkehrte, Platonismus, der in seiner Auffassung des Seins als a priori implizit das Wesen der Metaphysik selbst enthält, der moralischen Doktrine des Dekadenten Plato, mit welcher sich Nietzsche selbst ausschließlich befaßt, so unähnlich?

Diese Fragen befriedigend zu beantworten, hieße nur anzuerkennen, daß Nietzsche in seiner Kritik des Platonismus bzw. in dessen Wesensauffassung keineswegs ein Metaphysiker gewesen ist. In diesem Zusammenhang differenziere ich zwei Elemente jeder metaphysischen Grundstellung. Das erste Element bedingt die Bestimmtheit des Sinnes der Kopula: "sein" bedeutet "so und so sein", d.i. die ganzliche Gestalt des Seienden als solchen. In Bezug auf diese Bestimmtheit des Seienden wird danach die Schulmarkierung des Seienden gemacht. Das Seiende als solche, d.i. eine Beständigkeit des Sinnes des Seienden wird hier als die höchste Gattung, die Arten hervorbringt, ausgelegt. Dieses "genus supremum" wird zum adäquaten Gegenstand der Metaphysik, die auf diese Weise den Schulsinn der Wissenschaft vom Würdigsten und Göttlichen bekommt.

Im Nietzsches Fall werden die genannten Elemente der metaphysischen Grundstellung als Psychologie (ich meine hierbei seine Lehre vom Willen zur Macht) und Rhetorik bestimmt. Nietzsche als Psychologe legt das Seiende im Ganzen als seelisch am Leitfaden der menschlichen Seele aus. Die Seele wird hier als das nächste Phänomen dargestellt. Nietzsche als Rhetoriker beschäftigt sich mit "der Morphologie des Willens zur Macht". Obwohl der eigentliche Zweck dieser Morphologie die Lehre vom Übermenschen ist, enthält sie in sich zunächst und zumeist eine ausführliche Beschreibung der menschlichen Typen. Diese Beschreibung zeigt sich als ein wesentlich rhetorischer Beruf, weil sie sich in einem von der Schule bestimmten Feld des zum Gebrauch fertigen Seienden befindet. In diesem Sinne ist der Platonismus für Nietzsche selbst gerade ein Schulphänomen.

Die Antwort auf die Frage nach der Konstitution dieses Phänomens beantwortet auch die Frage, die in der Überschrift meines Berichts steht: nachdem man durchanalysiert hat, was Nietzsche Plato als dessen Hauptidee anrechnet und in welche Fragenordnung er Platonismus einstellt, hat man zu schlußfolgern, daß Nietzsches Plato eigentlich Kant ist. Um dies zu demonstrieren, muß man bloß zeigen, daß die Bestimmtheit Nietzsches kritischer Appelle direkt durch Kants philosophia in sensu cosmico festgelegt wurde. Indem Kant die Frage nach der Möglichkeit der Metaphysik als einer Wissenschaft stellt, gibt er zu, daß diese (im Gegensatz zur Mathematik und Naturwissenschaft) nicht als wirklich zu halten sei, und gesteht der Metaphysik eine Wirklichkeit von besonderer Art zu: "Metaphysik ist, wenngleich nicht als Wissenschaft, doch als Naturanlage (metaphysica naturalis)". Metaphysica naturalis besagt das Streben der Vernunft, über die Grenzen erfahrungsmäßiger Anwendung des Erkenntnisvermögens hinauszugreifen und sich bis zur geistigen Einsicht zu verbreiten, welche durch keine Erfahrung bestätigt noch widerlegt sein kann. Jedoch findet Naturmetaphysik weder in theoretischer, noch in praktischer Philosophie ihr eigenes Wirkungsfeld vor, - die Kritik der Vernunft beweist die Möglichkeit jener wie sogar die Wirklichkeit dieser ohne irgendeiner Vermittlung von seiten der Naturmetaphysik. Überdies gelangt die metaphysica naturalis selbst in keine dieser Sphären, figuriert jedoch weiter bei Kant als ein weltanschauliches Vermögen und macht sogar ein besonderes Gebiet der Weltweisheit aus.

Sofern die Weltanschauung Stellung eines jeden Menschen der Welt im Ganzen gegenüber ist und der Mensch als ein natürlich-freies Wesen verstanden wird, bestimmt das teleologische Urteilskraft die Philosophie in sensu cosmico als teleologia rationis humanae, wo unter Zwecken die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft verstanden werden, hauptsächlich aber ihr Endzweck - die ganze Bestimmung des Menschen. Ein bedingungsloser Endzweck darf hier nur ein moralischer sein, denn nur in der Moral finden wir seine Wirklichkeit, und zwar den Menschen als freies Wesen: dem Weltbegriffe nach strebt die Philosophie, Moralphilosophie zu werden. Sofern sie aber aus einem Einzelmenschen (nicht aus dem Wesen der reinen Vernunft) ausgeht, erscheint der Weltweise jedem Erbauer der Weltanschauung gegenüber nur als Ideal, das in keinem Lehrer vollständig verkörpert werden kann und dessen bloß ungefähre Übereinstimmungen in der Geschichte nur aufgesucht werden. Also erwies sich die Philosophie in sensu cosmico, welche die moralische Bestrebung jeder menschlichen Vernunft bedingt und den Moralisten als Ideal des Erbauers von Weltanschauungen darbietet, als bereitliegendes Feld für "den freien Geist" Nietzsches.

Der vom Kant bestimmte Gegenstand der Kritik (verschiedenartige Ideale, Moralgesetze, Dogmen und Moralisten) ist für Nietzsche ein obligatorischer Gegenstand der Erörterung. Diese Erforderlichkeit ist von schul-rhetorischem Charakter, weil sie mit dem in keiner Beziehung steht, was wir Heidegger folgend Nietzsches Metaphysik nennen dürfen, also mit Lehren vom Willen zur Macht und von der ewigen Wiederkehr. Der Sinn der zu kritisierenden Moral ist für Nietzsche ein schul-wirklicher: es wird vorausgesetzt, daß er nicht als solcher (in seiner Möglichkeit) erörtert, sondern als ein bereits stehender und fertiger angewendet sein wird. Nietzsche macht sich direkt an die Kritik der Moral, indem er dabei ganz und gar kantische Feststellungen als die für jeden Philosophierenden gleichermaßen geltenden Sinne voraussetzt. So vollzieht Nietzsche z.B. eine "selbstverständliche" Zurückführung der Religiösität auf das Wesen der Moral, ohne dabei Kants Notwendigkeitsbegründung dieser Zurückführung aufrechtzuerhalten. Aber auch umgekehrt: Nietzsche hat die Möglichkeit einer außermoralischen Erörterung der Nützlichkeit, indem er Kants Kritik der Ethik von Gütern und Zwecken als erfüllt voraussetzt. So kommt es an den Tag, daß jeder von Nietzsche kritisierte Moralist eine mehr oder weniger getreue Verkörperung des kantischen Ideals des Weltweisen ist, und Nietzsche, der mit ihm Krieg führt, immer noch im Wirkungsfelde dieser Weltweisheit verweilt.

Plato bietet hier keine Ausnahme. Einer größeren Überzeugungskraft dieser These halber wollen wir uns die Charakteristik anhören, welche Plato in "Jenseits von Gut und Böse" bekommt: "Der schlimmste, langwierigste und gefährlichste aller Irrtümer ist bisher ein Dogmatiker-Irrtum gewesen, nämlich Platos Erfindung vom reinen Geiste und vom Guten an sich". Anhand dieses Fragments ist Plato als ein gefährlicher Moralist erstens ein Dogmatiker (im Gegensatz zu Skeptikern und Kritikern, wie man leicht vermuten kann), d.h., Anhänger der dogmatischen Methode bei der Ausarbeitung der praktischen Philosophie, und zweitens ein Autor der Lehre vom reinen Geiste - d.i.: vom reinen praktischen Vernunft, die das synthetische Urteil a priori oder den kategorischen Imperativ als einzig mögliche Willensbestimmung, sofern dieser Willen ein unbedingt guter ist, oder als eine Bedingung des "Guten an sich" erzeugt. Um Beispiele und Zitate nicht zu vermehren, wiederhole ich nur am Ende meine These davon, daß Nietzsches Plato inhaltlich Kant ist und frage nun Heidegger nochmals: ist es genau festgestelt, daß solch ein "umgekehrter" Platonismus das historische Geschehen der abendländischen Metaphysik abschließt, und ob er sich nicht vielmehr als Fortführung jener uralten Tradition erweist, in welcher alles Bekannte besprochen und welche schon mehr als zwei Jahrtausende im Abendlande Rhetorik genannt wird?



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